
Das Magazin Wirtschaftswoche (WiWo) befasste sich in der Ausgabe 41/2019 in einem Artikel mit der unheiligen Verbandelung deutscher Wirtschaftsführer, die sich wohl am liebsten untereinander selbst befördern. Als Beispiel wurde unter anderem die Berufung des VW-Finanzvorstands Pötsch zum Aufsichtsratschef genannt, dem keinerlei kritische Distanz zu seinem neuen Aufgabengebiet unterstellt wurde. Was sich kurz darauf bestätigte, als gegen Pötsch wegen Marktmanipulation ermittelt wurde, die er neben dem damals schon zurückgetretenen Martin Winterkorn und VW-Chef Herbert Diess zu verantworten hatte. Und auch die fast zeitgleiche Entlassung Guido Kerkhoffs bei Thyssenkrupp lenkte den Blick auf einen Missstand, bei dem „Aufsichtsrat und Vorstand jahrzehntelang symbiotisch agiert haben, oft sogar personalidentisch.“
Diese Beispiele stehen laut WiWo „für ein Muster – für ein strukturelles Problem des deutschen Konzernmanagements: Es regiert kein Kreis der Besten, sondern eine Kooperative des Mittelmaßes.“ Und weiter: „Ein Jahrzehnt nach der Einführung des Corporate Governance Kodexes missachten die Buddys in den Konzernen noch immer das Distanzgebot zwischen Aufsichtsrat und Vorstand.“
Da werden „strukturelle Fehlentwicklungen“ diagnostiziert, von einem „Harmoniekartell“ ist dort die Rede, das zu einer „systematischen Verklüngelung“ führt und zu einer „Herrschaft des Missmanagements, an dem Konzerne – und weite Teile der Dax-Wirtschaft – bis heute kranken“. Dass dies letztlich nicht förderlich ist, weder für die Chancengleichheit potenzieller Bewerber, noch für die wirtschaftliche Leistungskraft der Unternehmen, ist offenkundig.
Es entsteht dadurch „kein Widerspruch, keine Reibung, keine Kreativität, keine Innovation. Die Gremien schreiben das Verhalten aus der Vergangenheit fort – und verlieren den Anschluss.“ Nicht Leistung und Kompetenz sind gefragt, sondern in erster Linie die richtigen Kontakte und Loyalitätsbeweise gegenüber Vorgesetzten.
Und das in einer Zeit, wo die Arbeitswelt sich so schnell verändert wie nie zuvor. Nicht nur was die Herausforderungen der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz (KI) betrifft, zu denen ausschließlich betriebswirtschaftlich orientierte Manager oft nur eingeschränkten Zugang haben und gerne zum Motto tendieren: Haben wir schon immer so gemacht!
„Die deutsche Wirtschaft ist zahlenmäßig männlich, akademisch, westdeutsch und inzestuös – Elitenzucht aus der Retorte“ beklagen die Autoren des WiWo-Artikels und fragen sich: „Lässt sich von einem Kartell der Spitzenmanager sprechen? Nicht im Sinne von Preisabsprachen, versteht sich, nicht im Sinne einer kriminellen Clique. Wohl aber im Sinne einer Burschenschaft, in der ein bestimmter Korpsgeist gepflegt, ein Netz von Referenzen und Verbindlichkeiten geknüpft wird.“
Auch das Beispiel von Christian Kullmann wird zitiert, der, mit Unterstützung des „bestvernetzten Strippenziehers“ im Ruhrgebiet Werner Müller (ehem. Chef der Ruhrkohle AG), ganz ohne Managementerfahrung zum Chef von Evonik einen sagenhaften Aufstieg hinlegen konnte. Und der dann in der Folge auch den Abstieg des Unternehmens mit einem um ein Drittel eingebrochenen Aktienkurs und inzwischen angehäuften Milliardenschulden zu verantworten hat.
Wer lange genug in einem Großunternehmen verbracht hat, profitiert oft von „Hausberufungen“, wenn der Chef in den Aufsichtsrat wechselt – und dann den Nachfolger kontrollieren soll. Was allzu oft nicht geschieht, da eine echte Kontrolle versagt, wenn der neue Chef gerne nach den Maßstäben des Vorgängers weitermacht und der Kontrolleur sich scheut, seine vergangenen Entscheidungen in Frage zu stellen oder zu korrigieren.
Männlichen Seilschaften täten Frauen gut
Das Seilschaften-Regiment belegt auch deutlich, dass 13 der 30 Dax-Chefs seit mehr als zwei Jahrzehnten Angestellte ihres Unternehmens sind. Nur drei Dax-Unternehmen haben in letzter Zeit die Chefposition extern besetzt. Immerhin war im Oktober letzten Jahres ein historischer Tag in der deutschen Unternehmenswelt: Mit Jennifer Morgan rückte bei SAP erstmals eine Frau an die Spitze eines Dax-Konzerns. Sie ist zwar auch schon 16 Jahre im Unternehmen, aber Erfahrung im Metier hat andererseits ja noch nie geschadet, wenn man den Job gut machen will.
Eine Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung über die Umgangsformen von Vorständen in Großunternehmen zeigte deutlich die Unterschiede zwischen den „alten, homogenen“ Welten und den „neuen, diversen“, in denen auch Frauen mit am Entscheidungstisch sitzen. Dort wird die oftmals trügerische Harmonie häufiger in Frage gestellt, was jedoch nicht nur mit dem Geschlecht zu tun hat, sondern einfach damit, dass Heterogenität der entscheidende Faktor ist. „Der andere Blickwinkel und die mangelnde Routine in den eingespielten Umgangsformen sind entscheidend“, so die mit der Untersuchung befasste Psychologin Cornelia Edding: „Es wird mehr gerungen und gestritten, mehr vertieft und widerspruchsvoll diskutiert.“
Letzteres könnte für viele Unternehmen der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sein. Auch wenn sich die Komplexität der Abstimmungsprozesse dabei erhöhen mag, was der Finanzwissenschaftler Bart Frijns in dem Artikel jedoch gleich relativiert: „Je internationaler und komplexer ein Unternehmen ist, desto größer sollte auch die Diversität an der Spitze sein.“
Bleibt nur noch Wolfgang Schäuble zu zitieren, der bei einem Vortrag Ende letzten Jahres vor Vertretern der Wirtschafts-Spitzenverbände der versammelten Elite mitgab, dass viele Unternehmen „auf die großen Herausforderungen nur unzulängliche Antworten gefunden“ hätten und folgerte: „Womöglich haben wir uns zu sehr im Wohlstand eingerichtet, in einer selbstgefälligen Genügsamkeit, die von der Substanz zehrt.“
Fraglich, wer da bei den angesprochenen Zuhörern wohl am ehrlichsten applaudiert hat …?