
Die Autoren S. F. Bischof und Prof. Dr. T. Rudolph, beide an der Universität St. Gallen engagiert, haben sich in einer Forschungsstudie dem Thema Komplexität in Unternehmen gewidmet, deren Resultate in einer Kurzfassung bereits im letzten Jahr in der „Absatzwirtschaft“ vorgestellt wurden. Die aktuellen, zum Teil dramatischen Veränderungen, vor der große Teile der Wirtschaft gerade stehen, sind Anlass dafür, dieses Thema noch einmal aufzugreifen. Große wie kleine Unternehmen leiden laut Bischof und Rudolph gleichermaßen unter erhöhten Komplexitätsanforderungen, da sich kein statistischer Unterschied zwischen Unternehmen hinsichtlich Umsatz oder Mitarbeiterzahl feststellen ließ. Und jetzt in der Pandemie-Krise zeigt sich dies auf dramatische Weise. Statt schnell zu handeln, kreativ zu denken und sich mit Weitblick auf Chancen und Verbesserungen einzulassen, scheitern einige an ihrer Organisation.
Die Überschrift des Artikels in der „Absatzwirtschaft“ stellt auch aktuell die Situation treffend dar: „Eine noch nie da gewesene Komplexität erhöht den Druck auf Unternehmen, Manager und Mitarbeiter. In Zeiten von Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und Big Data verkompliziert der technologische Fortschritt die Arbeit in Organisationen. Regulatorische Neuerungen wie die Datenschutzverordnung gefährden einen gesetzeskonformen Betrieb. Steigende Konsumentenerwartungen erhöhen den Druck, individualisierte und damit vielfältigere Produkte und Sortimente anzubieten. Im globalen Wettbewerb stürmen neu auftretende Marktakteure die letzten Bastionen hoher Margen.“ In der Realität haben sich die wenigsten Unternehmensleiter und Manager um die überlebenswichtigen Fragen gekümmert: Wie müssen wir uns angesichts dieser Entwicklungen neu aufstellen? Wie verändert sich unsere Arbeitswelt, unsere Führungskultur und generell die Zusammenarbeit nach innen wie nach außen?
Das Versprechen der Autoren im Artikel „Konsequent einfach: Wie Sie organisationale Komplexität in den Griff bekommen“ wird dort natürlich kaum im Detail eingelöst. Gleichwohl ist es wichtig, hier erneut die wichtigsten Komplexitätstreiber bewusst zu machen, die so manches Unternehmen immer mehr lähmen. Denn die wahrgenommene Komplexität hat sich in den letzten 60 Jahren zwar versechsfacht – trotzdem nutzen gerade einmal 17 Prozent der Unternehmen Möglichkeiten zu deren Reduktion – laut einer Studie aus dem Jahr 2017 von Bain & Company.
Wir unterscheiden Komplexitätstreiber außerhalb und innerhalb von Unternehmen. Auf Erstere können Manager oft nur reagieren, während sich die internen jedoch aktiv bekämpfen lassen, da sie oft hausgemacht sind. Dazu gehören in erster Linie das Prognoseverhalten mit aufwendigen Budgetierungsprozessen, unklare Organisationsstrukturen und eine hohe Aufgabendiversität, unter der Mitarbeiter besonders leiden.
Diese Forecasting- und Budgetierungsprozesse sollten so schlank wie möglich gehalten werden: „Hier gilt es, das Optimum zwischen notwendiger Planung und bürokratischer Komplexität zu finden“, so das Autorenduo, und „konsequent nach Automatisierungspotenzialen Ausschau zu halten. Eine hohe Standardisierung und Routine eröffnen Möglichkeiten für softwarebasierte, automatisierte und innovative Lösungen, die Kapazitäten freisetzen.“ Als Paradebeispiel, wie das in der Praxis umzusetzen ist, wird das Schweizer Handelsunternehmen Migros genannt, das mit zehn Regionalgenossenschaften und weiteren angeschlossenen Tochterunternehmen agiert. Eine „Schnellboot-Organisation“, die ihre jeweiligen Budgets und Aktivitäten selbst plant und weitgehend eigenverantwortlich durchführt – und somit agil bleibt. Die dezentrale autonome Organisationsform macht es zudem möglich, auch schneller auf externe Einflüsse zu reagieren.
Unklare Organisationsstrukturen sind das zweitgrößte Hindernis auf dem Weg zu weniger Komplexität: Wie viele verschiedene Verantwortungsbereiche und verantwortliche Personen existieren? Handeln einzelne Geschäftsbereiche harmonisiert oder werden Prozesse durch nicht standardisierte Vorgehensweisen kompliziert? „Es geht im Kern also um die Frage, wie gut eine Organisation von ihren Mitarbeitern verstanden wird“, so das Autorenduo. Als Beispiel, ebenfalls aus dem Handelsbereich, wird hier Aldi Süd angeführt, wo man mit nur sieben Hierarchieebenen auskommt – vom Stiftungsrat bis zu den Filialangestellten. Mit einem auf Effizienz getrimmten Organigramm und einer hochgradigen Standardisierung von Prozessen, die der Schlüssel zur Einfachheit sind, findet eine Konzentration auf das Wesentliche statt. Allerdings muss man auch sehen: Je spezialisierter ein Unternehmen ist, umso weniger komplex können die zu bewältigenden Aufgaben sein und so in vergleichsweise flachen hierarchischen Strukturen ablaufen.
Als dritte Hürde erweist sich die große Aufgabendiversität einzelner Angestellten, die sich über sehr unterschiedliche Kompetenzfelder erstreckt. Diese „wahrgenommene“ Komplexität kann sich unmittelbar auf die Effektivität der Mitarbeiter auswirken. Anspruch und Wirklichkeit klaffen zu oft auseinander, da multiple Talente in der Regel nicht so breit gestreut sind, wie sich das eine Unternehmensführung wünschen mag. Ein echtes fachliches Expertentum ist meist nur durch hoch spezialisierte Mitarbeiter zu erzielen, deren Leistungsbeiträge dann im Idealfall wiederum von darauf spezialisierten Experten zu koordinieren sind?
Auf den externen Komplexitätstreiber „regulatorische Anforderungen“, wie zum Beispiel gesetzliche Auflagen oder disruptive Marktveränderungen, können Organisationen kaum direkten Einfluss nehmen. Da helfen laut Bischof und Rudolph in erster Linie Unternehmenskooperationen, bei denen „kritisches Wissen den direkten Weg in die Organisation“ finden kann.
Das „St. Galler Stufenmodell zur Komplexitätsreduzierung“ der Autoren fassen diese so zusammen: „Die vier bedeutendsten Komplexitätstreiber entstammen zu einem Großteil der internen Organisation und können somit auch von Managern angegangen werden. Es gilt demnach, Budgetierungsprozesse effizient zu gestalten, Organisationsstrukturen und Verantwortlichkeiten eindeutig zu kommunizieren, die Aufgabenvielfalt einzelner Mitarbeiter zu reduzieren sowie regulatorischen Anforderungen durch Kooperationen zu begegnen.“
Wie „komplex“ wiederum sich das alles in der Realität für einzelne Unternehmen darstellen kann, darüber diskutieren wir zurzeit mit einigen unserer Kunden. Zum Beispiel über Organisationsentwicklung und Führungskultur – die Aufgaben, die Unternehmen jetzt lösen müssen.
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